Geben und Nehmen

Geben und Nehmen

In einer harmonischen Partnerschaft muss jeder für den anderen da sein. Diese Balance ist eine absolute Grundvoraussetzung.

Bereits die Bibel lehrt uns, dass Geben seliger ist denn Nehmen. Und tatsächlich steckt in diese Spruch eine Menge Wahrheit. Für die Beziehung zwischen zwei Menschen taugt sie allerdings nur bedingt. Schließlich kann es ja nicht erstrebenswert für eine Partnerschaft sein, dass einer der beiden Partner unentwegt gibt, während der andere ständig nimmt!

Das weiß Katja nur zu genau: „In der Anfangsphase unserer Partnerschaft waren Torsten und ich so unglaublich verliebt. Wir bemühten uns mit enormem Ehrgeiz, unsere Ziele, unsere Pläne und unsere Aktivitäten aufeinander abzustimmen. Das war damals auch ganz einfach für uns. Letztendlich waren wir bestrebt, dem Gegenüber so weit wie möglich entgegenzukommen und Kompromisse zu finden, von denen beide etwas hatten.“

Leider sollte das nicht so bleiben! Im Laufe der Zeit änderte sich dieses Verhalten nach und nach, wie Katja erzählt: „Ich kann nicht einmal mehr sagen, wann diese Veränderung einsetzte, da ich mich eigentlich an kein Schlüsselerlebnis zu erinnern vermag. Es bürgerte sich aber in unserer Beziehung immer mehr ein, dass wir eher das taten, was Torsten wollte. Er weigerte sich mehr und mehr, den ohnehin kleineren Teil der Hausarbeit zu übernehmen. Er wollte auch immer seltener das unternehmen, was mir Spaß machte.“

Katja konnte nach und nach eine Persönlichkeitsveränderung bei Torsten erkennen. „Mein Freund gab zusehends die Richtung vor. Es spielte keine Rolle, ob es sich um eine Anschaffung handelte, um die Abendgestaltung oder um das Urlaubsziel. Immer öfter geschah das, was er wollte!“

Schieflage

Warum sie sich das gefallen ließ, statt sich zur Wehr zu setzen, kann Katja durchaus erklären: „Konnte Torsten nicht seinen Willen durchsetzen, dann war er gleich beleidigt. Er zog sich in den Schmollwinkel zurück und die Stimmung sank in den Keller. Damit es nicht so weit kam, machte ich eben das, was er wollte. Mir fiel lange nicht auf, dass dieses Verhalten nach und nach eine Eigendynamik entwickelte. Irgendwann war es jedenfalls so weit, dass es zur Gewohnheit wurde …“

Es kam, wie es kommen musste: Eines Tages fiel es Katja wie Schuppen von den Augen! Ihr wurde bewusst, dass nur noch Torsten das Sagen in der Partnerschaft hatte und sie bloß noch die zweite Geige spielte! „Als ich meine Arbeit verlor und entsprechend bedrückt war, eskalierte die Situation. Ich brauchte so dringend eine starke Schulter zum Anlehnen und hoffte, dass sich Torsten jetzt mehr um meine Bedürfnisse kümmern würde. Ich hoffte, er würde mich trösten und mir helfen, eine neue Stelle zu finden.“

Leider erfüllte sich dieser Wunsch nicht, wie Katja schildert: „Torsten klagte bloß, dass ich eine Langweilerin geworden wäre, mit der nichts anzufangen wäre. Er meinte, dass unsere Partnerschaft längst nicht mehr so erfüllend für ihn wäre wie in früheren Zeiten. Erst da wurde mit bewusst, dass wir in einer Sackgasse steckten, aus der es kaum einen Ausweg gab.“

Gleichberechtigung

Außenstehenden – Freunden und Freundinnen der beiden – war schon früher aufgefallen, dass in der Partnerschaft von Katja und Torsten etwas schieflief! Sie war einfach zu nachgiebig, zu duldsam und viel zu sehr um Harmonie bemüht. Sie erkannte nicht, dass sie sich von der Gleichberechtigung verabschiedet hatte und zur Nummer zwei in der Beziehung geworden war!

Jedem, der eine Partnerschaft eingeht, muss von vornherein klar sein, dass es für beide Protagonisten Rechte und Pflichten gibt. Keiner darf sich dem anderen überlegen fühlen – und erst recht nicht darf er sein Gegenüber beherrschen wollen! Wenn eine Beziehung harmonisch verlaufen soll, so geht das nicht ohne Kompromissbereitschaft. Ebenso unerlässlich ist die Erkenntnis, dass Hilfsbereitschaft keine Einbahnstraße sein kann. Wenn man immer nur gibt und nichts dafür bekommt, dann wird man mit der Zeit finanziell wie emotionell verarmen!

Daher eignet sich für eine Partnerschaft das Bibelzitat „Geben ist seliger denn Nehmen“ nicht wirklich. Viel besser wäre der Grundsatz „Quid pro quo“, den man aus der Rechtswissenschaft kennt. Übersetzt heißt das so viel wie „dies für das“ und bedeutet, dass eine Person, die etwas gibt, auch etwas dafür erhält.

Auf eine Beziehung übertragen heißt das, dass beide Partner eine ausgeglichene Bilanz aus Geben und Nehmen aufweisen sollten! Tritt eine Schieflage ein, so wird eine Partnerschaft immer instabiler. Fließen Verständnis, Hilfsbereitschaft und Liebe nur in eine Richtung, so wird das sicher nicht dauerhaft gutgehen!

Gegenmaßnahmen

Das wirft die grundsätzliche Frage auf, warum manche Leute in einer Beziehung eher defensiv bleiben, während andere den offensiven Part übernehmen. Die Ursache hierfür liegen meistens im Charakter und im Temperament – kurz: in der Persönlichkeit – der Betroffenen. Es deutet vieles darauf hin, dass manche zu „Gebern“ prädestiniert sind und andere zu „Nehmern“. Geber sind selbstlos, rücksichtsvoll und kompromissbereit, während Nehmer egoistischer, unnachgiebiger und vor allem auf ihr Wohl bedacht sind.

Dass jemand ein „Geber“ ist, kann mehrere Gründe haben. Er kann übertrieben gutmütig sein oder ein ausgeprägtes Helfersyndrom haben. Er kann aber auch ein übertriebenes Harmoniebedürfnis besitzen – also ein fast krankhafte Sucht nach Liebe und Anerkennung. Es spielt aber keine Rolle, welcher Gruppe man angehört: Es ist immer sinnvoll, dass die Betroffenen ihr Verhalten überdenken. Sie müssen sich der Tatsache bewusst zu werden, dass „gut gemeint“ etwas anderes ist als „gut gemacht“!

Je früher die Leidtragenden dies einsehen, desto besser stehen die Chancen, das Ruder noch herumreißen zu können. Wer hingegen die Überfuhr verpasst, hat es wesentlich schwerer. Hat sich erst einmal ein „Gewohnheitsrecht“ breitgemacht, ist eine Kurskorrektur erheblich schwieriger. Trotzdem ist es besser, das Beziehungsschiff durch die Brandung zu steuern, als an den Klippen der Partnerschaft zu zerschellen!

So ging es dann auch Katja: „Als mir klar wurde, wie sehr sich unsere Rollen in der Beziehung zu meinen Ungunsten verändert hatten, musste ich handeln. Es war allerhöchste Zeit, ein ernstes Wort mit meinem Freund zu sprechen. Ich versuchte, ihm klarzumachen, wie sehr mich sein Verhalten verletzt hatte. Und ich machte ihm deutlich, dass eine Partnerschaft unter diesen Bedingungen für nicht mehr infrage käme. Ich erklärte ihm auch, was ich mir unter einer harmonischen Beziehung vorstellte und was ich von meinem Freund erwartete!“ Ihre Worte sorgten bei Torsten zunächst für Erstaunen, aber nach einer Nachdenkpause gab er ihr recht und gelobte Besserung.